Betreff
Erhebung einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht wegen Änderung des Landesfinanzausgleichsgesetzes Rheinland-Pfalz
Vorlage
1449/2019
Aktenzeichen
1.3/lt/61102
Art
Beschlussvorlage

 

Sachverhalt:

 

Dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz liegen drei Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 13.05.2019 vor (Stadt Pirmasens – Finanzausgleich 2014 und 2015 und Landkreis Kaiserslautern – Finanzausgleich 2015), deren Gegenstand die Frage ist, ob das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 mit dem in der Landesverfassung verankerten Recht der Kommunen auf eine angemessene Finanzausstattung (Art. 49 Abs. 6) vereinbar ist – so genanntes konkretes Normenkontrollverfahren.

Neben der Landesverfassung gewährt auch das Grundgesetz den Kommunen einen Anspruch auf angemessene Finanzausstattung gegen das Land (Art. 28 Abs. 2 Satz 2).

 

Es steht jedoch nicht in der Kompetenz des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz, auch die Vereinbarkeit des Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 mit dem Grundgesetz zu überprüfen. Diese Kompetenz steht ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht zu.

 

Die Stadt Pirmasens und der Landkreis Kaiserslautern haben daher die Möglichkeit, zusätzlich zu den beim Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz anhängigen konkreten Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b Grundgesetz/GG, § 91 Bundesverfassungsgerichtsgesetz/BVerfGG) gegen das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 in Gestalt des Änderungsgesetzes 2018 einzulegen. Diese beiden Rechtsschutzmöglichkeiten stehen nebeneinander. Sie „sperren“ sich grundsätzlich nicht.

 

Der Anspruch der Kommunen gegen das Land auf eine angemessene Finanzausstattung gemäß Landesverfassung (Art. 49 Abs. 6) steht dem Verfassungsgerichthof Rheinland-Pfalz zufolge unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes (Urteil vom 14.02.2012, VGH N 3/11 – „Neuwied-Urteil“).

 

Der Anspruch, den das Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2 Satz 2) den Kommunen auf angemessene Finanzausstattung gegen das Land gewährt, geht hingegen weiter, so jedenfalls das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 31.01.2013, 8 C 1.12 – sog. „Malbergweich-Urteil“): Den Kommunen stehe gegen das Land ein Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung zu, und zwar unabhängig von der Finanzkraft des Landes.


Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich zu dieser Frage noch nicht ausdrücklich geäußert. Auffällig ist jedoch, dass es in seinen (aktuellen) Entscheidungen stets den Anspruch der Kommunen gegen die Länder auf eine angemessene Finanzausstattung ohne den einschränkenden Hinweis der entsprechenden Leistungsfähigkeit der Länder erwähnt (BVerfG, Urteil vom 19.09.2018, 2 BvF 1/15; BVerfG, Urteil vom 21.11.2017, 2 BvR 2177/16; Beschluss vom 19.11.2014, 2 BvL 2/13).

 

Durch die zusätzliche Einlegung einer Kommunalverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht eröffnet sich der Landkreis eine weitere Möglichkeit, dass das Landesfinanzausgleichsgesetz verfassungsgerichtlich beanstandet wird.

 

Im Vergleich zu dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hätte ein solches Verfahren das Landesfinanzausgleichsgesetz in seiner aktuellen Fassung, also in der Gestalt des Änderungsgesetzes 2018, zum Gegenstand. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das Bundesverfassungsgericht den Kommunen einen stärkeren Anspruch (ohne den einschränkenden Hinweis der entsprechenden Leistungsfähigkeit der Länder) zusprechen wird als der Verfassungsgerichthof Rheinland- Pfalz (s.o.).

 

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz wird vermutlich als erster zu entscheiden haben, denn sein Verfahren ist das ältere. Zwar steht es ausschließlich in seiner Kompetenz, über die Vereinbarkeit des Landesfinanzausgleichsgesetzes 2014 mit der Landesverfassung zu urteilen. Sollte er jedoch zu Ungunsten der Kommunen entscheiden und das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 nicht beanstanden (wie er es bereits in den u. a. von der Stadt Pirmasens und dem Landkreis Südliche Weinstraße angestrengten abstrakten Normenkontrollverfahren unter Verweis auf formale Gründe getan hat, Beschluss vom 30.10.2015, VGH N 28), müsste er damit rechnen, dass das Bundesverfassungsgericht in einer nachfolgenden Entscheidung das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 (in Gestalt des Änderungsgesetzes 2018) – in Bezug auf das Grundgesetz – sehr wohl als verfassungswidrig einordnet.

 

Sollte der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hingegen urteilen, dass das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 verfassungswidrig ist, bestünde aller Voraussicht nach keine Notwendigkeit mehr, eine Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht weiter zu verfolgen. Eine solche könnte dann zurückgenommen werden.

 

Kommunalverfassungsbeschwerden gegen ein Gesetz müssen binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben werden (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Das Änderungsgesetz 2018 ist im Gesetz- und Verordnungsblatt vom 15.10.2018 verkündet worden. Es ist teilweise rückwirkend zum 01.01.2018 in Kraft getreten. Gegen Gesetze, die rückwirkend in Kraft getreten sind, muss eine Kommunalverfassungsbeschwerde binnen eines Jahres ab Gesetzesverkündung (hier also 15.10.2019) erhoben werden.

Allerdings besteht das Risiko, dass das Bundesverfassungsgericht eine Kommunalverfassungsbeschwerde mit der Begründung abweist, dass man nicht isoliert gegen das Änderungsgesetz 2018 vorgehen darf, sondern das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 selbst unmittelbar mit einer Kommunalverfassungsbeschwerde hätte angegriffen werden müssen. Dieses Risiko ist hoch. In Bezug auf das Landesfinanzausgleichsgesetz 2014 selbst ist die einjährige Beschwerdefrist lange abgelaufen.

 

Sollte sich dieses Risiko realisieren, hätte dies allerdings keinen negativen Einfluss auf das Verfahren beim Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz.

 

Alle Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sind gerichtsgebührenfrei (§ 34 Abs. 1 BVerfGG). Erweist sich eine Kommunalverfassungsbeschwerde als begründet, sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten (§ 34a Abs. 2 BVerfGG).


Unter „notwendigen Auslagen“ sind insbesondere die gesetzlichen Anwaltsgebühren zu verstehen, nicht jedoch darüber hinausgehende Anwaltskosten, die gemäß einer Honorarvereinbarung entstehen. Erweist sich eine Kommunalverfassungsbeschwerde als unbegründet, muss der Beschwerdeführer – anders als nach sonstigem Prozessrecht – den anderen Verfahrensbeteiligten keine Kosten erstatten.

 

Unabhängig von diesen Regelungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes kann der Landkreis beim Land den Antrag stellen, dass die Kommunalverfassungsbeschwerde als Musterprozess anerkannt wird (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 Landesfinanzausgleichsgesetz). Die Anerkennung steht im Ermessen des Landes. Bei anerkannten Musterprozessen ersetzt das Land unabhängig vom Verfahrensausgang ganz oder zumindest anteilig die Verfahrenskosten. Es steht im Ermessen des Landes, auch Anwaltskosten, die über die gesetzlichen Gebühren hinausgehen, als erstattungsfähig anzuerkennen.

 

Die Verfassungsbeschwerde wurde im Übrigen vom Deutschen Landkreistag (DLT) mit Blick auf ein landes- und bundesweiten Klageinteresses angeregt und würde im Beschwerdefall vom geschäftsführenden Präsidialmitglied des DLT, Herrn Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, eng juristisch begleitet werden.

 

Zudem hat die Stadt Pirmasens bzw. der Landkreis Kaiserslautern bei seinem jeweiligen Kommunalen Spitzenverband (Städtetag/Landkreistag) angefragt, ob sich dieser, falls keine oder keine vollständige Erstattung von anderer Seite erfolgt, an den Verfahrenskosten beteiligt. Eine Antwort steht noch aus.

 

Beschlussvorschlag:

 

Der Kreistag stimmt einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht zu.

Die Rechtsanwaltskanzlei CBH Cornelius Bartenbach Haesemann & Partner, Köln, ist mit der anwaltlichen Vertretung, der Erstellung der Verfassungsbeschwerde und der Beantragung der Musterprozess-Anerkennung zu beauftragen.

Da der Verwaltungsrechtsstreit für den Kommunalbereich von landes- und bundesweitem Interesse ist, ist eine Kostenübernahme der durch einen eventuellen Musterprozess nicht gedeckten Anwalts- und Verfahrenskosten durch die Kommunalen Spitzenverbände (Deutscher Landkreistag bzw. LKT Rheinland-Pfalz) anzustreben.